Prag: Aus der Luke einer eisernen Spielzeugrakete lacht ein Kindergesicht, weiter unten baumeln Beine aus der Rakete, als wäre der Spielplatzkosmonaut mehrere Meter lang. London: In einer U-Bahn Station eilen Passanten an beleuchteten Milchglasscheiben vorbei, ihre Silhouetten bilden ein urbanes Schattenspiel.
Witz und Ernst, Tempo und Ruhe, Emotion und kühl kalkulierte Form sind Pole zwischen denen sich die Menschen- und Stadtbilder von René Spalek bewegen.
„Die Stadt ist für mich eine Bühne", sagt Spalek. Er sitzt nicht still vor dieser Bühne und drückt irgendwann auf den Auslöser seiner Kamera, sondern er nähert sich Motiven und Menschen aktiv an. Konzentration und Genauigkeit gehören zu dieser Art von Annäherung ebenso wie Neugierde und Respekt. Egal ob in London, Lissabon, Rom, Berlin, Prag, Havanna oder New York – die Blicke und Gesichter auf den Fotografien sind sich der Anwesenheit des fotografischen Auges bewusst. Spalek gibt den Menschen Raum, sich selbst in ihrem urbanen Umfeld zu zeigen.
Dabei sucht er keine Sensation, sondern Nähe zu Menschen in ihren Lebenswelten. „Manchmal komme ich den Menschen mehr als zum Greifen nahe und habe direkten Kontakt zu meinem Gegenüber." Spaleks Fotografien sprechen direkt an und erzählen einfache aber auch vielschichtige und tiefgehende Geschichten. Diese Geschichten beschreiben Welten und Stimmungen, die so unterschiedlich sind, wie die Städte in denen sie gelebt werden. Der Kontrast zwischen Berliner Jugendlichen, die in Streetware gekleidet gelangweilt durch U-Bahnstationen ziehen und kubanischen Straßenkindern, die sich betrunken und lachend im Regen auf der Straße wälzen, macht das überdeutlich.
„Verschiedene Kulturen und Länder fordern verschiedene Stimmungen und Arbeitsweisen heraus." Dabei prägen die verschiedenen Städte auch unterschiedliche Bildästhetiken. Die Motive aus Lissabon wirken zeitlos, weich und geradezu melancholisch auf den Betrachter. In London sucht und findet Spalek dagegen die zeitgemäße Ästhetik einer Stadt, von der seit Jahren die entscheidenden Impulse für Kommerz, Kultur, Kunst und Kommunikation ausgehen. In einer Zeit, in der die Globalisierung scheinbar so viel vereinheitlicht und ununterscheidbar macht, porträtiert Spalek in seinen Bildern den Charakter unverwechselbarer Kulturen und Identitäten.
Viele der Fotografien von René Spalek zeigen Szenen auf der Straße. Trotzdem grenzt er sein Werk vom Genre der Straßenfotografie oder der dokumentarischen Fotografie ab, indem er Szenen teilweise gemeinsam mit den Menschen auf seinen Bildern gestaltet. Er benutzt fast immer eine Kamera mit Weitwinkeloptik und kombiniert oft natürliches Licht und Blitz. Diese Mittel erlauben es ihm, flexibel mit einer Situation oder einem Objekt umzugehen.
„Es gibt Bilder, die auf mich zukommen und es gibt Bilder, die ich auslöse", beschreibt er sinnbildlich den Prozess von der Begegnung mit dem Motiv bis zum Foto. Die Bilder wollen nicht bloß ein Augenblick sein, der die Fotografie zum gelungenen Schnappschuss degradiert. Spaleks Bildsprache und Erzählweise gleichen eher der Erzählung oder Novelle, in der der Autor mit allen Mitteln gezielt auf den Höhepunkt des Geschehens hinarbeitet: „Das perfekte Bild ist der Höhepunkt auf einer Zeitachse . Diesen Moment vorauszusehen und zu entwickeln ist Teil meiner Arbeit." In einer Mischung aus Intuition und Kalkül bringt René Spalek Komposition und Dramaturgie einer lebendigen Szenerie mit Bildausschnitt, Licht und Zeit auf den Punkt.
Wie ihm das gelingt belegen verschiedene Preise und Auszeichnungen, darunter der deutsche Photopreis sowie ein BFF-Award.
Einige seiner Motive sind in verschiedenen Editionen hier bei ISO4 zusammengestellt.